Menü Schließen

Abschnitt 3 (Block 2): Ausweg aus den Single Stories

Mehrspektivität und Repräsentationen

Die Reduzierung komplexer Verhältnisse zu einigen wenigen Hauptmerkmalen, die in Folge mit Bildern oder Texten in Schulbüchern festgeschrieben werden, birgt die Gefahr der Essentialisierung. Das Selbstverständnis des Faches Geographie als Disziplin, die „über den Tellerrand hinaus“ in die Welt schaut, wird in Frage gestellt, wenn ein genauerer Blick auf die Darstellungsweisen und Zuschreibungen in Lehrmaterialien geworfen wird. Die im Bildungsplan geforderte Mehrperspektivität – oder auch Multiperspektivität – fehlt zumeist. Eine wichtige Voraussetzung für die Abbildung von Diversität ist das Sichtbarmachen möglichst vieler gesellschaftlicher Gruppen in ihrer Heterogenität.

Ein Blick in die Realität zeigt allerdings, dass normative Sehgewohnheiten und Erzählweisen noch immer dominieren. Für Schulmaterialien gilt dies ebenso. Schwarze Menschen, jüdische Personen, Muslim:innen, Menschen of Color, queere Personen und Menschen mit Behinderung werden häufig unsichtbar gemacht und damit fehlen wichtige Perspektiven auf die Gesellschaft und aus ihr heraus. Gleichzeitig werden verschiedene Diskriminierungsformen – wie etwa Rassismus – und deren historische Entwicklungen sowie Auswirkungen nicht thematisiert.

Wen sehen wir?

Wen hören wir?

Konstitutiv für Repräsentationen in einer Migrationsgesellschaft sei, dass den verschiedenen kulturellen Lebensformen ungleiche Möglichkeiten ihrer öffentlichen Darstellung wie politischen und sozialen Vertretung zukommen (vgl. Broden; Mecheril 2007: 10f.). Manche werden kaum oder gar nicht gehört bzw. gezeigt. Über politische, kulturelle und wissenschaftliche Repräsentation verfügen zu können bedeutet aber, sowohl sich selbst als auch die ‚Anderen‘ darstellen zu können; Letzteres im Sinne eines ‚Sprechen-Über‘. Privilegierte Gruppen sind damit gewillt, ein bestimmtes Wissen zu generieren und zu verbreiten, bestimmte Auslegungen zu bevorzugen und zugleich andere Weisen des ‚Sprechen-Über‘ zu begrenzen.

Wozniesinska 2017

Ein hinterfragender Blick auf Lehrmaterialen

Wie können also Gegenentwürfe von Single Stories in bestehende Materialien integriert werden?
Wie können die Erlebnisse, Lebensentwürfe und vielschichtigen Identitäten von BIPoC Schüler:innen in den Unterricht integriert werden?
Wie kann kritisch mit den Unterrichtsmaterialien in Schulbüchern gearbeitet werden und die Darstellungen mit anderen „Stories“ ergänzt werden?

Hierzu geben wir an dieser Stelle einige Vorschläge. Diese Fragen ….

Mögliche Antworten & Vorschläge

Unterrichtseinheiten durch globale, migrantische und marginalisierte Perspektiven anreichern
Differenzierte, machtkritische Bilder und Wissensbestände zu unterschiedlichen Regionen einbringen
Historische, gesellschaftliche, politische und kulturelle Vielfalt darstellen, auch Widersprüchlichkeiten besprechen
Inhaltliche Verbindungen schaffen zwischen Beispielen in Deutschland und anderen geographischen Kontexten
Verstrickungen in die Gegenwart – z.B. in Form kolonialer Kontinuitäten – verstehen
Quellen befragen: Wer hat unsere Schulbücher geschrieben? Wessen Perspektiven werden dargestellt? Wer kommt zu Wort?
Beispiele nutzen, die Lebensrealitäten der Schüler:innen widerspiegeln
Selbstbezeichnungen der Schüler:innen nutzen und respektieren
Aufzeigen von Vorbildern und Identifikationsfiguren
Schüler:innen bezüglich Inhalt und Methode mitentscheiden lassen und – wenn gewollt – eigene Erfahrungen und eigenes Wissen zu einem Thema einbinden lassen
Weg von reiner Opfer-Darstellung, stattdessen widerständige Praxen und Personen in Gegenwart und Geschichte behandeln

Der Weg zur Einbindung multipler und vielschichtiger Perspektiven in den Unterricht, birgt dabei auch immer Fallstricke, die hier im Folgenden ebenso aufgezeigt werden.

Vorsicht vor FALLSTRICKEn

Nicht weiterhin nur „über“ Menschen schreiben / berichten / lehren, sondern sie selbst sprechen lassen
Gemeinsamkeiten sollten gegenüber Unterschiedlichkeiten hervorgehoben werden. Gleichzeitig sollten Unterschiede nicht völlig missachtet werden
Nicht nach „wahren“ Wahrheiten suchen. Stattdessen anerkennen, dass andere Menschen andere Erfahrungen machen und andere Lebensentwürfe leben
Romantisierung von marginalisierten Lebensrealitäten vermeiden. Stattdessen auch hier eine ausgewogene Perspektive auf Unterschiedlichkeiten und Gemeinsamkeiten zu Lebensrealitäten der Schüler:innen finden.
Nicht einzelne Schüler:innen(gruppen) hervorheben und damit wieder als „anders“ markieren, indem sie „von oben herab“ mit bestimmten Themen in Verbindung gebracht werden
Vorkommen, ohne dass dabei diskriminierende Stereotype wiederholt werden und es um Rassismus, Ableismus oder Sexismus geht.
Perspektiven eben nicht als „repräsentativ“ für eine ganze Gruppe sehen
Quantität reicht nicht aus, es geht um das WIE

Weitere Auswege aus den Single Stories

  • BIPoC Experten von außerhalb dazu holen (siehe im Modul 3, Block 4: Außerschulische Lernorte)
  • Schüler:innen in Planung von Exkursionen einbinden (Was interessiert euch? Mit wem möchtet ihr sprechen?)
  • Schulbibliothek und Bücherregale im Lehrer:innenzimmer kritisch begutachten (Sind z.B. BIPoC Autor:innen vertreten?)
  • Im Kollegium ins Gespräch kommen (Austausch über rassismusarme Lehrformate und Lektüre)
  • Fortbildungen gemeinsam besuchen oder organisieren
  • Safer spaces für Schüler:innen und Lehrer:innen, die Diskriminierungserfahrungen machen
  • Diskriminierungsbeauftragte benennen, Beratungs- und Anlaufstellen eröffnen
  • Informelle Austauschrunden abseits vom Unterrichtsgeschehen ermöglichen

Das Icon zeigt eine Teekanne, aus der viele Konfetti herausspringen.

Reflexion

Dies ist ein Anreiz zur Reflexion.

Reflexionsaufgabe

Am Ende des Blocks Rassismuskritische Haltung wurde nach der Rolle von Lehrkräften in der Gestaltung eines rassismuskritischen Unterrichts gefragt. An dieser Stelle des Portals bitten wir dich, nun in die praktische Arbeit mit den von dir genutzten Materialien einzusteigen. Mache dir einen kleinen Fahrplan, welche Schritte du zunächst in Angriff nehmen kannst, um eine rassismussensiblere Unterrichtsgestaltung zu erreichen. Hier noch einmal einige Fragen, die auf diesem Weg hilfreich sein können:

  • Welche Perspektiven sind in den Materialien, die du verwendest, mitgedacht?
  • Wer wird (wie) repräsentiert?
  • Werden Stimmen gehört aus außereuropäischen Kontexten?
    • Wenn ja, WIE kommen sie zu Wort und welche (impliziten oder expliziten) „messages“ werden mit solchen Inhalten verbunden?

Consent Management Platform von Real Cookie Banner